Fraktale Märkte X: Momentum und Low Volatility – zwei Seiten der selben Medaille?
In den vergangen Artikeln rund um fraktale Märkte haben wir ausführlich zu Momentum Stellung bezogen. Wir haben Momentum aus signaltheoretischer Sicht durch Trends erklärt und auch argumentiert, dass Momentum ökonomisch durch Wachstumsprozesse entsteht. Insbesondere haben wir die Zeitskala der Betrachtung (so wie von Benoît Mandelbrot eingeführt) als wichtige Charakteristik angenommen. Für sich betrachtet deutet dies schon allein auf fraktale Märkte hin. „Wolken sind keine Kugeln, Berge keine Kegel, Küstenlinien keine Kreise und Rinde ist nicht glatt, so wie auch der Blitz nicht auf einer Geraden unterwegs ist“ (Benoit B. Mandelbrot, Richard L. Hudson: Fraktale und Finanzen). Aber was hat dies mit Faktor-Investments zu tun?
„Low Volatility“ – Outperformance durch niedrigeres Risiko?
Rund um die Theorie der Effizienten Märkte gibt es diverse (sogenannte) Anomalien, die immer wieder diese Theorie selbst in Frage stellen. Momentum ist sicher eine der härtesten, allerdings gibt es kurz nach der Ausrufung dieser Theorie (1970) einen weiteren Faktor, der so gar nicht in das Bild der klassischen Finanzmathematik passt: Der „Low Volatility“ – Faktor.
Im Zusammenhang mit dem „Capital Asset Pricing Model“, welches postuliert, dass höheres Risiko höhere Renditen impliziert, hat sich die Frage ergeben, ob dies wirklich so ist. Jener Fischer Black, der ein Jahr später das sogenannte Black-Scholes Optionspreismodell veröffentlicht, hat hierzu die Antwort mit Scholes und Jensen schon 1972 gegeben („The Capital Asset Pricing Model: Some Empirical Findings“). Ausgehend von Arbeiten aus 1970 (Autoren Friend und Blume) wird festgehalten, dass systematisches Investieren in Aktien mit niedriger Schwankung („Low Volatility“) ausgerechnet (risikoadjustierte) Überrenditen im Vergleich zum Markt erlaubt.
Man könnte sagen, dass dies eine Anomalie ist, man könnte sagen, dass Schwankung kein gutes Maß für Risiko ist, man könnte sich fragen, ob nicht indirekte Risiken, die nicht sichtbar sind, vorhanden sind. Man könnte sich allerdings auch fragen, ob nicht Trends wirken und Momentum und Low Volatility vielleicht dieselbe Ursache haben.
„Low Volatility“ und Trends – eine Frage der Skala
Hinsichtlich Momentum hatten wir uns über ein Verfahren der künstlichen Intelligenz gefragt, [ BEGIN REFERENZ ZU TEIL 6 ] gibt es Wavelet-Skalen (aus unserem Trendmodell) [ENDE REFERENEZ ZU TEIL 6 – FRAKTALE IN DER FINANZ-MATHEMATIK, z.b. unter https://mandelbrot.de/fraktale-maerkte-vi-fraktale-in-der-finanzmathematik ], die diesen Faktor Momentum gut beschreiben? Die gibt es und analog hierzu fragen wir uns, gibt es das bei „Low Volatility“? Wir betrachten nachfolgend eine „Low Volatility“-Strategie, die auf Basis der letzten drei Jahre jeder Aktie die Schwankung in ihrer Rendite zuweist. Das Universum wird dann monatlich „gerankt“ und diejenigen Aktien (10% des Marktes), die die geringste Schwankug aufweisen, werden in das Portfolio aufgenommen. Gleichzeitig fragen wir uns anhand des Trendmodells, in welchem wir den zuletzt sichtbaren Trend einer Aktie zu einer gegebenen Wavelet-Skala betrachten, finden wir eine Wavelet-Skala, die anhand des Modells diesen klassischen „Low Volatility“-Faktor gut beschreibt?

„Low Volatility“ ein Maß für Stabilität von Trends?
Aber wieso schlagen schwach schwankende Aktien den Markt? Wer diese Frage beantworten möchte, sollte sich die Marktcharakteristik ansehen. In den nachfolgenden Abbildungen messen wir den Markt (also alle Aktien des Marktes) aus. Je Aktie und pro vorgegebener Wavelet-Skala messen wir Trends und messen in diesen Trends bestimmte Charakteristiken (wie Länge, Steigung oder Schwankung). Wir bilden über alle Aktien den Mittelwert und wiederholen diesen Prozess für alle Trendzerlegungs-Skalen (Wavelet-Skala):

Wie man in der Abbildung oben schnell erfasst, Auf- und Abwärtstrends sind drastisch unterschiedlich: Während Aufwärtstrends langsame Bewegungen sind, sind Abwärtstrends kürzere Bewegungen. Aber nicht nur das:

Wer die Steigungen betrachtet stellt (siehe oben) schnell fest, dass Aufwärtstrends nicht nur längere, sondern auch langsamere Bewegungen (hinsichtlich der Rendite) sind (im Vergleich zu Abwärtstrends, die kürzer und auch schneller sind).

Wer jetzt noch einen Schritt weitergeht und die Schwankung in den letzten Trends betrachtet, der stellt fest, dass Aufwärtstrends auch noch die ruhigeren Bewegungen – im Vergleich zu Abwärtstrends – sind.
„Low Volatility“ – ein indirektes Maß
Ist also „Low Volatility“ ein indirektes Maß? Die Antwort geben wir durch die nächste Grafik.

Hier betrachten wir den „Low Volatility“ – Faktor durch die Trendbrille (Replikation durch Trendmodell) und fragen uns wieviele der Aktien eigentlich Aufwärtstrends aufweisen. Wie sich schnell erschließt, sind dies fast durchgängig mehr als 50% der Aktien. Kurz gesagt, da Aufwärtstrends und Abwärtstrends sehr unterschiedliche Charakteristiken haben, selektiert „Low Volatility“ indirekt Aktien (statistisch und im Mittel) mit stabilen, längeren und langsam ansteigenden Aufwärtstrends. „Outperformance“ wundert daher aus Trendsicht überhaupt nicht nicht.
Schon hier kann man von Überlagerungsprozessen am Aktienmarkt sprechen – eine Vermutung, die Benoît Mandelbrot gegen Ende seiner Karriere geäußert hat. In diesem Kontext muss man sich eine vielleicht letzte Frage stellen: Können wir eventuell „Value“-Ansätze analog auffassen? Die Antwort mag überraschen oder auch nicht. Aber davon später mehr…